Ist die Gastronomie auf dem Rückzug?
Mit den Rahmenbedingungen und Herausforderungen in der Hotel- und Gaststättenbranche beschäftigte sich das 9. IHK-Branchenforum Tourismuswirtschaft, das in Kooperation mit dem Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA), Geschäftsstelle Ravensburg, Ende September in Weingarten stattfand. Angesichts einer Abnahme des gastronomischen Angebots vor allem im ländlichen Raum und mit Blick auf die im Zuge von Digitalisierung, Bürokratie, ungeklärten Nachfolgeregelungen und Fachkräftemangel immer schwieriger werdenden Rahmenbedingungen treffe das Th-ma der Veranstaltung gewissermaßen den Nagel auf den Kopf, sagte Professor Dr. Peter Jany, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Bodensee-Oberschwaben (IHK), der die über 60 Branchenforums-Teilnehmer begrüßte.
„Wir werden heute keine Probleme lösen können, aber wichtige Aspekte zur Entwicklung der Branche benennen“, sagte Jany und hatte auch Erfreuliches zu berichten: Die Zahl der eingetragenen Ausbildungsverträge in den Hotel- und Gaststättenberufen sei in der Region gestiegen – von 143 im Vorjahr auf 162 (Stand: 30. August).
„Es geht uns eigentlich ja gut“, gab der Waldburger Gastronom Max Haller, erster Vor-sitzender der DEHOGA-Kreisstelle Ravensburg, zu bedenken. Die Region Bodensee-Oberschwaben sei eine beliebte und gut besuchte Tourismusregion, biete Brauchtum, Kultur sowie einen hohen Freizeitwert und verzeichne das achte Rekordjahr in Folge. „Wir haben hier eigentlich alles, was Touristiker brauchen“, so Haller. Dennoch habe die Branche in den vergangenen acht Jahren 268 Betriebe verloren – davon 113 im Landkreis Ravensburg, 64 im Bodenseekreis, 67 im Landkreis Sigmaringen und 24 im Landkreis Biberach. „Was ist da los?“, fragte er und zählte auf: Mehrwertsteuersatz, Dokumentationspflichten, Brandschutz, Hygieneschulungen, Fahrtenbuch, Arbeitszeitdokumentation, Temperaturlisten, die Aktion „Topf Secret“, Reinigungspläne, Wettbewerbsverzerrungen gegenüber Vereinen – mit diesen und weiteren Herausforderungen habe die Gastronomie zu kämpfen, während es im Gegenzug immer weniger Auszubildende, Servicemitarbeiter, Köche, Spülkräfte und andere Mitarbeiter in der Branche gebe. Hinzu kämen Mindestlohn sowie steigende Pachten und Qualitätsansprüche. Problematisch sei auch, dass man als Wirt keine Qualifikation benötige – ein einwandfreies polizeiliches Führungszeugnis reiche aus. „Die Politik muss die Spielregeln verändern“, forderte Haller. Wenn die Gastronomie weiterhin Bestand haben wolle, müsse der Ertrag um mindestens 30 Prozent nach oben gehen. Auch eine Sensibilisierung gegenüber der Branche und mehr Wertschätzung forderte er ein. Niemand meckere über zu hohe Me-dikamentenpreise oder Autokosten, niemand käme auf die Idee, öffentliche Straßenzufahrten zu Unternehmen wochenlang zu sperren oder Industrieunternehmen die Produktionszeiten vorzuschreiben. Nur die Gastronomie stehe immer in der Kritik. „Dabei sind wir Gastronomen auch Unternehmer, wir verkaufen Freizeit, Freude und Dienstleistungen, wir stellen Ausbildungs- und Arbeitsplätze zur Verfügung und zahlen Steuern“, so Haller weiter. Es sei schlimm, wie mit der Gastronomie umgegangen werde, „nur weil wir klein strukturiert sind“.
Leitökonomie Tourismus
Obwohl der Tourismus als Leitökonomie gelte, finde er nicht die politische Beachtung, die ihm zustehe, sagte Professorin Dr. Conny Mayer-Bonde von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Ravensburg. Sie wurde 2016 von der Bundesregierung in den Normenkontrollrat berufen und ist im Tourismusbeirat der Bundesregierung engagiert. Wenn die Branche etwas erreichen wolle, gehe dies meist nur über persönliche Beziehungen zur Politik vor Ort – Landrat, Kreisräte, Bürgermeister, Gemeinderäte, Ort-schaftsräte, erklärte sie. Die Tourismusbranche sei zu kleinteilig, verfolge teils unter-schiedliche Konzepte und werde durch viele verschiedene Verbände vertreten. Auch politische Zuständigkeiten seien nicht geklärt.
Eine Flexibilisierung des Arbeitszeitgesetzes sei derzeit eher nicht zu erwarten, so die Tourismus-Expertin weiter. Mit den im April fokussierten Eckpunkten für eine nationale Tourismusstrategie wolle die Bundesregierung aber dazu beitragen, verlässliche, büro-kratiearme und wettbewerbsfördernde Rahmenbedingungen für den Tourismusstandort Deutschland und die nationale Tourismuswirtschaft zu gestalten. Gerade auch der ländliche Raum solle gestärkt werden. Die Themen bedarfsgerechte und nachhaltige Mobilität, Service- und Erlebnisqualität stehen laut Mayer-Bonde dabei ganz oben auf der Agenda: „In Zukunft wird die individualisierte Qualität eine wichtige Rolle spielen.“ Und noch etwas unterstrich die Professorin: „Tourismus ist eine Querschnittsaufgabe und geht nur gemeinsam.“ Kooperationen und der Aufbau von Netzwerken seien unerläss-lich. Dies wurde auch in der abschließenden Gesprächsrunde mit Mayer-Bonde, Haller und Ronja Riedlinger, stellvertretende Leiterin des Amtes für Tourismus, Kultur & Marketing, Kressbronn, deutlich. Ein regelmäßiger Wirte-Stammtisch beispielsweise, den es bereits in einigen Kommunen gebe, biete Gelegenheit für Austausch und Information, regte Ronja Riedlinger an. Bislang finde in der Gastronomie fast kein Netzwerken statt. „Aber nur gemeinsam können wir etwas erreichen und bewirken“, so die einhellige Botschaft.
„Wir – die IHK und der DEHOGA – kämpfen weiter für bessere Rahmenbedingungen“, versprach Bernhard Nattermann, IHK-Referent für Handel, Dienstleistungen und Tourismus, in seinem Schlusswort. „Nutzen Sie unser Know-how“, so sein Appell. Auch Einzelberatungen seien möglich.